Kartoffel und Adel

Die Welt der Kartoffel und die Welt des Adels – die Diskrepanz kann man sich kaum größer vorstellen: hier der Staub des Ackers, die Frucht im Dunkel der Erde, die mühsame Arbeit, die Armeleutekost – dort verfeinerter Lebensstil, abgehobenes Standesbewusstsein, Verfügbarkeit über die Güter der Welt, Rehkeule und Rotwein. Ob das je zusammenfinden kann? Und wenn, wie mag das geschehen? Gibt es die Hochzeit von blauem Blut und brauner Knolle?

Dieser Frage möchte ich hier nachgehen.

Fast alles, was die Segelschiffe im 16. Jahrhundert aus der neuen Welt mitbrachten, war für die Europäer interessant, alles Neue hat seinen Reiz. Der Adel hat damals begonnen zu wetteifern mit dem Besitz des Besonderen; Kunstsammlungen und Raritätenkabinette entstanden, auch die Gärten der Herrensitze wurden zur Bühne für die Selbstdarstellung mit Hilfe des Besonderen, und mit einer neuen Blume aus der neuen Welt konnte man imponieren, vor allem, wenn dieser auch noch besondere Kräfte zugeschrieben wurden. So bekamen in den Schlossgärten der Fürsten, zuerst in den Seefahrerstaaten, die Taratufli oder Papas peruanorum ihr Beet.

Fast 100 Jahre blieb die Kartoffel eine Kuriosität in Adelskreisen. 1565 soll König Philipp von Spanien dem kranken Papst Pius IV. Kartoffeln mit guten Genesungswünschen als Heilmittel nach Rom gesandt haben. Viel geholfen haben sie nicht, Pius IV. starb noch im gleichen Jahr.

Eine wichtige Station für die Verbreitung der Kartoffel nach Mitteleuropa bildeten die zu Spanien gehörenden Niederlande. Auch hier ist es der Adel weltlichen und geistlichen Standes, der die interessante Kartoffelblume kultiviert. Um 1600 trifft man sie dann auch in Deutschland, beispielsweise beim hessischen Landgrafen in Kassel und bei Kurfürst Christian I. von Sachsen in Dresden.

Im berühmten „Hortus Eystettensis, einem umfangreichen Pflanzenbuch des Basilius Besler von 1613 ist eine Kartoffelpflanze, Papas peruanorum, abgebildet und beschrieben, die belegt, dass der Eichstetter Fürstbischof Johann Gottfried von Gemmingen diese Pflanze in den Gärten seiner Willibaldsburg hat kultivieren lassen.

Das Interesse des Adels dieser Epoche galt vor allem der exotischen Blüte, die Knolle diente in erster Linie der Pflanzenvermehrung, nur wenige mutige Fürsten ließen ihre Hofköche auch in der Küche mit der Knolle experimentieren. Am Hof des Fürstbischofs von Mainz, des Markgrafen Albrecht von Brandenburg, erfand sein Mundkoch Marx Rumpold schon im 16. Jahrhundert folgendes Rezept: „[Die Knolle] Schäl und schneid sie klein, quell sie in Wasser und druck es wol aus durch ein härin Tuch, hack sie klein und röst sie in Speck, der klein geschnitten ist, nimm ein wenig Milch darüber und lass es sieden, so wird es gut und wolgeschmack.“

Im 17. Jahrhundert war die Verwendung der Kartoffel zu Speisezwecken eine sporadische, regional begrenzte Angelegenheit, die auch die adeligen Landesherren kaum zu ändern versuchten, die Initiativen gingen eher von Einzelpersonen wie dem Bauern Rogler in Rehau oder eingewanderten Emigranten z.b. den Waldensern im Elsass und in der Pfalz aus. Noch in einem Erlass von Herzog Ernst August von Weimar von 1739 zeigt sich das dominante Eigeninteresse der Obrigkeit: Seine Pächter sollen Erdtufeln anbauen und „zwey oder drey Fuder derselben zum Behuf der Prunstplätze und Ankörung derer wilden Schweine“ abliefern. Kartoffeln steigern das Jagdvergnügen.

Doch dem Adel darf man Lernfähigkeit nicht absprechen, auch nicht, was die Kartoffeln betrifft. In diesem Jahr feiern wir den 300. Geburtstag Friedrichs des Großen. Das allgemeine Volksbewusstsein bringt den Preußen nicht nur mit der Querflöte und den schlesischen Kriegen, sondern besonders auch mit der Förderung des Kartoffelanbaues in Verbindung. Die Legende schreibt ihm dabei besondere Schlitzohrigkeit zu.

Die Legende ist das Eine, die historische Wahrheit das Andere: Es gab einige Landesherren, die, was die Kartoffel betrifft, dem großen Friedrich zeitlich voraus waren. Zu ihnen gehörte beispielsweise Markgraf Friedrich von Bayreuth, der schon 1746 erkannte, dass die Kartoffeln einen Beitrag leisten können zur Verbesserung des Staatshaushalts und den Kartoffelzehnten einführte; zu ihnen gehört auch Fürst Wilhelm Heinrich von Nassau-Saarbrücken/Ottweiler, der die Voraussetzungen dafür schuf, dass die einzigartigen saarländischen kulinarischen Wunder, dass Schaales, Dibbelabbes und Daatschelscher entstehen konnten.

Als Graf Friedrich Ludwig von Ottweiler 1728 ohne Erben starb, fiel die Grafschaft Ottweiler, mit Saarbrücken vereint, an das verwandte Haus Nassau-Usingen. Erbe wurde der erst zehnjährige Wilhelm Heinrich, für den seine Mutter Charlotte Amalie die Regentschaft führte. Der junge begabte Graf erhielt eine gute Ausbildung, u.a. in Genf, weilte am französischen Hof Ludwigs XV. und war befreundet mit berühmten Vertretern der französischen Aufklärung. 1741 übernahm er mit 23 Jahren die Regierungsgeschäfte in der Grafschaft Nassau-Saarbrücken/Ottweiler, und er erwies sich von Anfang an als sehr rühriger Landesherr, der begriffen hatte, dass sein eigener Wohlstand eng mit dem Wohlstand seiner Untertanen verbunden war, was nicht zuletzt in den über 400 Gesetzen und Verordnungen sichtbar wird, die er in den 27 Regierungsjahren erlassen hat. Er nahm den Kohlebergbau in staatliche Regie und ließ durch Fachleute den Abbau auf den neuesten technischen Stand bringen. Um die Wälder zu schonen, ist es sein Bestreben, Brennholz durch Steinkohle zu ersetzen; dazu lässt er durch die Pfarrer und Meier folgende Anweisung in den Gemeinden verkünden:

„Welchergestalt die Steinkohlen zur Erwärmung der Stuben und Behältnisse füglich und nützlich angewendet werden können, solches zeiget der beiliegende Vorschlag …“

In dem eisernen Ofen, wozu die runden die tauglichsten in Ansehung des Rauches sind, lasse man einen Rost setzen. Auf diesen Rost lege man die Kohlen, nach Proportion des Ofens und der zu verlangenden Hitze ordentlich übereinander; zünde die Kohlen mit kleingeschnittenem Holz unter dem Rost an …“ Es wird erklärt, wie man durch Abdecken der Glut mit einem durchlöcherten Teig aus Asche und Holzkohle diese über Nacht am Glühen halten kann. Man sieht hier, wie sich der Graf sogar um die Alltagsbelange seiner Untertanen kümmert.

Trotz Kohleförderung und Eisenverhüttung bleibt die ökonomische Grundlage in der Grafschaft die Landwirtschaft, dieser gilt ein erheblicher Teil der Reformanstrengungen Wilhelm Heinrichs. Durch Fruchtwechsel, Kleeanbau, sowie Schädlingsbekämpfung sollen die Erträge gesteigert werden. In dieses Entwicklungsprogramm gehört auch die Einführung des Kartoffelanbaues, die schon kurz nach seinem Regierungsantritt in den vierziger Jahren erfolgt sein muss. Es gibt Hinweise, dass einzelne Bewohner der Grafschaft schon um 1700 in ihren Gärten Kartoffeln gepflanzt haben, so zum Beispiel aus Belgien eingewanderte Arbeiter des 1685 gegründeten Dillinger Eisenwerks. Nun aber sollten sie allen Untertanen schmackhaft gemacht und feldmäßig angebaut werden. Es scheint, wie beim Alten Fritz, nicht einfach gewesen zu sein, für allgemeine Akzeptanz zu sorgen. Es gibt den Bericht, dass man am Sitz des Oberamts in der Stadt Ottweiler das Gerücht verbreitet habe, an der fürstlichen Tafel in Saarbrücken werde seit Neuem die seltsame Knolle besonders geschätzt und Kartoffelspeisen der Vorzug gegeben. Als der Fürst nach einiger Zeit auch noch die Zehntsteuer für Kartoffeln einführte, wurde das als ein Zeichen ihres Wertes angesehen. Der Kartoffelanbau kam in Gang. Einige besonders Schlaue versuchten, der Kartoffelsteuer dadurch zu entgehen, indem sie nicht zu versteuerndes Gemüse auf steuerpflichtigen Feldern anbauten und die Kartoffeln im steuerfreien Garten. Das wurde 1763 durch einen fürstlichen Erlass untersagt und eine Meldepflicht eingeführt. Dieser verdanken wir recht genaue Informationen über die Verbreitung des Kartoffelanbaues in der Grafschaft. Bis 1757 muss der Feldanbau sich so entwickelt haben, dass folgende Verordnung notwendig wurde:

„Die Weidbuben, welche im Feld Grundbieren ausgraben und braten und nicht bei ihrem Vieh sind, soll der Feldschütz dem Gericht anzeigen und durch selbiges züchtigen lassen.“ – Ein deutlicher Hinweis, dass man inzwischen auf den Geschmack gekommen war.

Im Jahre 1763 sind Kartoffeläcker von mehr als einem halben ha nachgewiesen, und man kann davon ausgehen, dass die Kartoffel am Ende von Wilhelm Heinrichs Regierungszeit – er starb 1768 – in der Grafschaft allgemein akzeptiert gewesen ist. Nun war die Fantasie der Hausfrauen und der Köche gefragt, die dann nach und nach die bekannten Köstlichkeiten hervorbrachte wie Plattgeschmälzte, Verheirate, Blechgrumbiere, Dibbelabbes, Hoorische, Schaales, Daatschelcher, Herzdrigger und manches mehr.

200 Jahre lang hatte der Adel mit der Exotik einer Pflanze aus fernen Landen gespielt. Erst als die Aufklärung den Herren zu einem neuen Bewusstsein verholfen und neue Einsichten in Zusammenhänge vermittelt hatte, konnten seine Vertreter zu Wegbereitern neuer Ernährungsgrundlagen werden. Ein Musterbeispiel dieser Adelsgruppe ist Fürst Wilhelm Heinrich von Nassau-Saarbrücken, der als gerade einmal 25-jähriger in seinem Herrschaftsbereich die weitsichtige Initiative zum Kartoffelanbau ergriffen hat. Seine andere Initiative, den Steinkohlebergbau betreffend, die 250 Jahre das Gesicht und die Kultur des späteren Saarlandes geprägt hat, ist  zu Ende gegangen, die Kartoffeln jedoch gräbt man weiter aus der saarländischen Erde, und die Zeichen stehen gut, dass dies noch lange so bleiben wird.