Die Frucht der Feindschaft

Ein surrealistisch-philosophisches Kartoffelmärchen

Das Treffen fand in der Küche statt. Bei Einzelbegegnungen hatte sich gezeigt, dass es zwischen ihnen einen gemeinsamen seelischen Grund gab, etwas was sie trotz aller Unterschiede der äußeren Erscheinung in ihrem Wesen verband. Jeder bekannte sich zu einer Art von Härte, zur Bereitschaft auch zu verletzen, wenn es darauf ankam. Sie waren sich ähnlich in der Hingabe an die Hand, die sie führte, und keiner hätte, bei aller Aggressivität diese kundige Hand, die sie beherrschte, mit Absicht verwundet. Ein Zufall hatte sie jetzt zusammengeführt. Nach einer großen Küchenschlacht, in der jeder seinen vollen Einsatz zu bringen hatte, waren sie nach dem üblichen heißen Bad fast zur gleichen Zeit in der Abtropfe gelandet. Es wurde dunkel. Anders als sonst waren sie nicht an ihre angestammten Plätze gebracht worden. In die Stille fuhr die schneidende Stimme des Küchenmessers: „Ein glücklicher Tag war das heute, meinen ganzen Groll durfte ich loswerden und meine Wut konnte ich entladen! Gehäutet habe ich sie und ihnen die Augen ausgestochen. Immer habe ich sie gehasst. Ihre weichen Rundungen, die leicht geraute, naturfarbene Oberfläche, das Wässerige des Inneren widerstehen meiner Natur. Stahlhart, glatt, scharf und spitz, das sind meine Werte, die Werte eines Messers eben.“ Die anderen murmelten Beifall. In einen Augenblick der Stille hinein tönte die rauchige Stimme des Reibeisens: „Du meinst, indem du ihnen die Augen ausgestochen und die Haut abgeschält hast, hättest du sie ins Mark getroffen? Du täuschst dich; mit anderen ihrer Art lagen sie zusammen in der großen Schüssel und genossen das kühle Wasserbad. Mich schaudert, wenn ich daran denke, wie behaglich sich die Sippschaft dort aalte. Doch das Schicksal war auf unserer Seite: Die Hand, die mich zu führen weiß, ergriff mich und dann zerrieb ich mehr als die Hälfte zu feuchten Fasern. Nichts blieb von ihnen übrig als ein nasser Schlamm. So muss man es mit diesen Knollen machen, sie verdienen keine Gnade.“

Beeindruckt und beschämt zugleich bekundete das Küchenmesser Beifall, dann aber fragte es: „Und der Rest, der noch in der Schüssel wohlig im Wasser schwamm?“ Da erklang die dunkle Stimme des Stampfers: „Diesen Rest habe ich mir vorgenommen. Als die Knollen weichgekocht und duftend im Topf dampften, kam es über mich. Mit aller Kraft zerstampfte, zermalmte und zerquetschte ich sie, dass nichts mehr an ihre ursprüngliche Gestalt erinnert. Tapfere Mitstreiter im Kartoffelkrieg, wir haben den Sieg errungen, wir dürfen feiern und unseren Ruhm genießen.“ Bevor noch allgemeiner Jubel ausbrechen konnte, erklang ein: „Halt, freut euch nicht zu früh, hört erst, was ich zu berichten habe!“ Es war die Gabel, die Kleinste im Kreise der Verschworenen. Weil sie aus poliertem Edelstahl bestand und sich oft in vornehmer Umgebung aufhielt, tat sie selbst recht vornehm und wirkte ein wenig eingebildet. Da sie sich aber offen zu ihrer Kartoffelfeindschaft bekannte, wurde sie von den derberen, proletarischen Genossen akzeptiert. „Was war los, erzähl schon, aber verdirb mir nicht die Stimmung,“ krächzte das Reibeisen. „Also hört! Ich lag auf einem weißen Tischtuch, wie es sich gehört, links vom Teller. Am Gedeck und den Gläsern konnte ich erkennen, dass ein Festessen bevorstand. Es war also damit zu rechnen, dass ich es auch mit Kartoffeln zu tun bekommen würde und malte mir aus, wie ich diese Gelegenheit nutzen wollte, wie ich in die Kartoffelstücke hineinstechen, sie zerdrücken, mit brauner Soße bekleckern würde. Die Teller wurden beladen, man ergriff mich, ich stellte mich seelisch auf einen mutigen Stich in die erste Kartoffel ein, – aber mein Blut stockte – vor mir nur heller Brei und nichts zum Stechen und Quetschen. Es wurde noch schlimmer, als sich eine Stimme hören ließ: ´Welch wunderbares Püree` und eine andere antwortete: ´Ja, nicht aus der Tüte, sondern mit dem alten Stampfer zubereitet.`“ In der Abtropfe vernahm man ein gequältes Stöhnen. Die Gabel fuhr fort: „Als dann an der Festtafel nachgelegt wurde, keimte bei mir neue Hoffnung auf, jetzt müssen sie kommen! Aber was kam? Helle Kugeln, an denen noch Kartoffelfasern zu erkennen waren; und wieder eine Menschenstimme: ´Auch für die Klöße haben wir keinen Fertigteig benutzt, sondern sie wie früher auf dem Reibeisen gerieben.` Eine andere Stimme meinte: ´Es ist doch wunderbar, was man aus Kartoffeln machen kann, wie sie sich mit einfachem Werkzeug veredeln lassen`. Veredeln, habt ihr gehört, veredeln,“ die Stimme der Gabel überschlug sich fast. „Mir gab es den Rest, lustlos schob ich die Bissen in den Mund. Haben wir damit unseren Kampf gegen die Kartoffeln verloren?“

Es folgte ein langes Schweigen, dann ließ sich der Senior der Runde, der Kartoffelstampfer vernehmen: „Was ist zu tun, wenn wir nicht in Depression verfallen wollen? Ich weiß nur einen Rat: Die Umstände können wir nicht ändern, versuchen wir unsere Einstellung zu verändern. Stechen, schneiden, reiben und stampfen wir weiter wie bisher, aber ab jetzt in dem Bewusstsein, damit die Welt zu verbessern.“ Nur das Reibeisen gab einen Kommentar: „Du verlangst viel, aber wahrscheinlich lohnt es sich darüber nachzudenken.“ Dann trat Stille ein in der Küche.